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28. Februar 2022

Fasten verleiht Flügel

„Fasten verleiht Flügel“, so könnte man in Abwandlung eines gängigen Werbeslogans den Sinn der Fastenzeit zusammenfassen. Aber was steht dahinter?

Mit Fasten verbinden wir doch Einschränkung, Verzicht, ein Zurückstecken in vielerlei Hinsicht – und das soll mir Flügel verleihen, Flügeln wozu und wofür? Holen wir etwas aus:

Mit dem Aschermittwoch beginnen wir die 40tägige Fastenzeit. Die Faschingszeit, wo viele – jetzt unabhängig von Corona – oft ausgelassen und ausgiebig feiern, liegt mit diesem Tag nun hinter uns. Jetzt soll mehr Ruhe und Besinnung einkehren. In den Worten des Tagesgebetes zum Aschermittwoch wird gesprochen: „Getreuer Gott, im Vertrauen auf dich beginnen wir die vierzig Tage der Umkehr und Buße. Gib uns die Kraft zu christlicher Zucht, damit wir dem Bösen absagen und mit Entschiedenheit das Gute tun.“ Es geht also um Veränderung und um Wandlung von Einstellungen und Verhaltensweisen, die dem christlichen Leben widersprechen. Das was wir im Herzen tragen und das was wir mit Wort und Tat vollbringen soll wieder mehr dem entsprechen, was Jesus gelehrt und vorgelebt hat. Doch wir wissen, das schaffen wir nicht alleine: Wir brauchen Gottes Hilfe. Deshalb heißt es: „Im Vertrauen auf dich.“ Im Vertrauen auf Gott dürfen wir diese 40 Tage der Fastenzeit beginnen (die Sonntage sind hier nicht mitgerechnet). Die Zahl 40 ist eine Größe, die in der Bibel einen reichen Widerhall findet. Sie ist als gesteigerte Fülle anzusehen. Das gilt für die 40 Tage der Sintflut, für den 40tägigen Aufenthalt Mose auf dem Berg, wo er die beiden Gebots-Tafeln empfing, für die 40 Jahre der Wüstenwanderung aus Ägypten hinein ins gelobte Land und für die 40 Tage Jesu in der Wüste. Auch waren es 40 Tage, die Jesus der Auferstandene, nach Ostern bis zu seiner Himmelfahrt, den Menschen erschien. Ostern wird also eingespannt von dieser Zahl der Fülle, von zwei Mal 40 Tagen. Diese einschneidenden Ereignisse, sind Zeiten und Situationen der Krise und des Wandels, des Reifens und des Neubeginns. Und in all diesen Umbrüchen ist Gott in seiner Fülle gegenwärtig (40 ist das Produkt von 4 mal 10: 4 steht für das Irdische, z.B. für die Himmelsrichtungen, Elemente, Lebensalter und Temperamente, 10 für die Vollkommenheit, u.a. die 10 Gebote). Er lässt uns gerade in schwierigen Situationen nicht allein, er begleitet uns. Um diese Begleitung und Nähe Gottes wieder neu zu entdecken, mögen wir uns wieder einmal herausnehmen aus dem Trubel und mancher Hektik des Alltags, aus der Überfülle an Angeboten und Annehmlichkeiten. Im betäubenden Lärm des Konsums und der Vergnügungen werden die oftmals leisen Töne Gottes überhört. Es sind die Töne Gottes in meiner Seele und meinem Leib, die Töne Gottes in der Schöpfung, in einem Vogelgezwitscher, die Töne Gottes in der Begegnung mit Menschen, im dankbaren Wort eines Freundes, im Lachen eines Kindes. Reduktion von Essen, von Alkohol, von Süßem, von Internet und Spielzwängen – von was auch immer – möchte und sollte Alternativen auftun, die Besinnung schenken auf diese Melodie Gottes – in mir selber, in den anderen Menschen, in der Schöpfung, auch in allen Formen von Kunst und Kultur.

Unnötiger Ballast, dazu gehören auch Unversöhnlichkeit und Unfrieden, beschweren also Körper und Seele. Und damit wären wir wieder bei den Flügeln. Mit Gottes Hilfe sind wir in dieser Zeit aufgerufen, diesen Ballast schrittweise abzugeben. Das erhebt meine Seele aus manchem Schmutz und Staub des Alltags und schafft ihr Raum für Versöhnung und Frieden, auch hier wieder mit mir selbst, mit den Menschen meines Lebens, mit der Schöpfung und eben mit Gott. Schon der Kirchenlehrer Johannes Chrysostomus spricht vor etwa 1650 Jahren von den Flügeln der Seele im Zusammenhang mit dem Fasten: „Das Fasten ist die Speise der Seele. Wie die körperliche Speise stärkt, so macht das Fasten die Seele kräftiger und verschafft ihr beweglichere Flügel, hebt sie empor und lässt sie über himmlische Dinge nachdenken, indem es sie über Lüste und die Freuden des gegenwärtigen Lebens erhaben macht. Wie leichte Fahrzeuge das Meer schneller durchqueren, schwerbelastete Schiffe aber untergehen, so macht das Fasten die Gedanken leichter.“

In der Fastenzeit möge die Seele also beweglichere Flügel geschenkt bekommen und unsere Gedanken leichter werden. So erkennen wir in Reduktion und Verzicht bedeutend leichter das große und liebend Ja Gottes zu uns.

Gottes Ja zu mir und mein Ja

Dieses Ja Gottes zu mir erfüllt mich mit Freude und Dankbarkeit. Es lässt mich entdecken, dass es nicht um ein Fasten um des Fasten Willens geht, sondern um ein vielstimmiges Ja, das ich schenken darf. Es wird mir geschenkt, Ja zu sagen zu einer größeren Nähe mit Gott, Ja zu mehr Gebet, Ja zu einer Zeit des persönlichen Gebetes, einer Zeit, die mir seine Liebe spüren lässt, Ja zu einem Spaziergang mit einem lieben Freund oder einer lieben Freundin und einem guten Gespräch, Ja zu mehr gemeinsam gelebter Zeit in Ehe und Partnerschaft, Ja zu einem gemeinsamen Spieleabend, Ja zu einem bewussten Einkauf von regionalen und nachhaltigen Produkten, Ja zu einem Danke für scheinbar Selbstverständliches, Ja zu einem guten Wort zu einem Menschen mit dem ich mir schwer tue, Ja zum Austausch und Mutmachen in Zeiten der Angst. Es gibt so viele große und kleine Ja, die die Fastenzeit bereichern und erfüllen können. Sie beschwingen und erheben die Seele.

So gehen wir leicht und mit Freude dem Osterfest, dem Ziel der Fastenzeit entgegen. In ihm feiern wir das große Ja Gottes zum Leben. Was zuerst am Kreuz und im Tod endet, erhebt sich über dem leeren Grab zu einem Triumph über das Böse und den Tod: Jesus Christus ist auferstanden. Halleluja!

So möge uns das Fasten Flügel verleihen und die Fastenzeit unsere Seele beschwingen, auf dass wir mit den vielen kleinen und großen Ja dieser Zeit, das Ja von Ostern, das Ja Gottes zu uns in der Auferstehung Jesu feiern und erfahren dürfen. 

Eine erfüllende und „erhebende“ Fastenzeit wünscht



P. Daniel Sihorsch