Heile Familie!?
Ein Impuls von P. Franz zur Heilungsgeschichte in Lukas 5,12-16
Als Kind, so mit 12-13 Jahren bin ich, wenn es zu Hause Streit gab, des Öfteren mit dem Rad die 7 km zu meiner Oma nach Sierning gefahren. Sie hatte zwar auch keine Lösung für meine Probleme, aber sie ist im Wohnzimmer auf der Bank gesessen und ich bin bei ihr gelegen, meinen Kopf in ihrem Schoß und sie hat mich gestreichelt und irgendwie wusste ich mit absoluter Sicherheit, dass alles gut wird. Diese Nähe war es, die geheilt hat, da brauchte es gar nicht viele Worte.
Und diese Erfahrung meiner Kindheit ist für mich auch ein entscheidender Schlüssel zum erfüllten Leben und hat auch mit meinem Glauben zu tun. Diese Woche bin ich durch Zufall auf das Magazin PROFIL aufmerksam geworden. „Drama Familie“ heißt in der aktuellen Ausgabe die Titelgeschichte. Und in diesem Artikel geht es darum, dass manche Erwachsene dann den Kontakt zu ihrer Familie abbrechen, weil sie das Gefühl haben, dass ihnen das nicht gut tut. Es sind vor allem Mütter und Väter der Generation, die gerade noch im Krieg oder kurz nach dem Krieg geboren worden sind. Zumeist sind dann die Mütter das Problem, weil die Bindung zu ihnen grundsätzlich enger ist …und umso schmerzhafter ist dann die Erfahrung, dass manche offenbar das Gefühl haben, gerade von der Mama nicht die Liebe und Wertschätzung bekommen zu haben, die sie gebraucht hätten. „Eiskasten-Mütter“ nennt sie ein Psychologe. Weil sie keine Gefühle zeigen können und nicht fähig sind, Zärtlichkeit zu schenken. Im Artikel wird dann gut aufgezeigt, dass es ja eh beiden Seiten schlecht damit geht. Weil ja die Mütter – und natürlich auch die Väter – dieser Generation wahrscheinlich selbst zu wenig Aufmerksamkeit bekommen haben, weil damals alles dem Wiederaufbau und dem Wirtschaftswunder und einer vermeintlich besseren Zukunft untergeordnet wurde. Dass aber die Erfüllung materieller Bedürfnisse alleine nicht glücklich macht, ist hinlänglich bekannt.
Was wirklich heilend wäre, zeigt uns das Evangelium. Da ist ein Aussätziger. Um geheilt zu werden, muss er sich zunächst sicher einmal eingestehen, dass er heilungsbedürftig ist. Er macht sich auf den Weg. Damit der, mitunter bei uns vorhandene, Aussatz – also alles, was uns trennt von unseren Mitmenschen, unserer Familie – heilen kann, müssen wir das einerseits auch einmal klar benennen und uns dann, wie der Mann in der Bibelstelle, aufmachen. Nur Nabelschau zu betreiben, Wunden zu lecken und sich selbst zu bemitleiden bringt keine Heilung. Heilung aber ist Geschenk. „Wenn du willst, kannst du machen, dass ich rein werde!“ Wir haben keinen Rechtsanspruch darauf, heil zu werden, wir müssen uns einlassen auf Beziehung. Unsere Verwundungen benennen und glauben, dass Jesus auch uns anrühren und heilen möchte. Ich persönlich durfte die Erfahrung machen, dass dieses „Gott-mein-Leben-hinhalten“ dazu geführt hat, dass sich das Gefühl der Versöhnung eingestellt hat. Auf einmal konnte ich meine eigene Geschichte aus einem anderen Licht sehen, Manches was meine Eltern getan oder eben unterlassen haben, verstehen. Im genannten Artikel sagt die Psychologin Mariam Irene Tazi-Preve: „Aber man sollte auch als Kind ein Verständnis für das Aufwachsen der Eltern entwickeln (…) viele hatten Mütter, die (…) keine Zeit und Kraft für Zuwendung hatten.“ Und für mich persönlich war es heilsam, anzunehmen, dass meine Kindheit so war, wie sie war. Wenn einem das gelingt, dann kann man seinen Eltern einmal positiv unterstellen, dass sie sich bemüht haben. Die wenigsten Eltern sagen bewusst: „ich will meinem Kind Schlechtes“, die Umstände waren so und oft haben sie es auch nicht besser gewusst. Versöhnung ist das Geschenk, das Gott-Jesus uns anbietet und so manche Heilungswunder kann man auch so verstehen, dass da vielleicht nicht unbedingt eine „Spontanheilung“ stattgefunden hat, sondern, dass Menschen neu Kraft und Zuversicht bekommen haben, um mit ihrer je eigenen Lebenssituation fertig zu werden.
Egal, ob wir eine Kindheit hatten, die von Liebe geprägt war oder ob wir das Gefühl haben, nicht so viel Zuwendung bekommen zu haben, wie wir nötig gehabt hätten – „Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben“ lautet der interessante und provokante Titel eines Buches von Ben Furman. Wir brauchen im Leben sogenannte Copingstrategien (von englisch to cope with, „bewältigen, überwinden“). Meine drei Ansätze sind: Reden, Reden, Reden.
1. Ehrlich zu mir selbst sein; mir sagen, dass es so war, wie es war; mir aber auch eingestehen, dass mir viel Gutes geschenkt wurde.
2. Wenn möglich, offen mit den Menschen reden, von denen ich mich unverstanden fühle; nicht vorwurfsvoll, sondern voll Liebe sagen, was ich empfinde und jetzt brauche.
3. Mit Gott ins Gespräch kommen; so wie der Aussätzige; mich aufmachen, um geheilt zu werden; sagen, was ich brauche und mir wünsche; so wie er vertrauen.
Und so werde ich dann angreifbar. Sicher auch in dem Sinn, dass es Menschen gibt, die das anders sehen und mir das auch sagen. Vor allem aber möchte ich angreifbar sein in dem Sinn, dass ich mich berühren lasse …von Gottes Wort und Liebe …und auch von Menschen. Gerade unlängst durfte ich wieder erfahren, dass es besser ist, einen Menschen zu umarmen und ihm zu sagen, dass ich ihn gern habe, als weiter aufzuzählen, was mich stört und verärgert. Dazu braucht es Mut. Auch die DeMut, einzugestehen, dass ich auch nicht fehlerfrei bin.
Die liebende Nähe meiner Oma hat mir als Kind weitergeholfen. Leider ist sie schon vor 26 Jahren gestorben. Aber durch diese Erfahrung habe ich das Vertrauen auf einen liebenden Gott gelernt. Und das ist wirklich heilsam. Ich wünsche uns allen, dass manche Wunden heilen dürfen, weil wir sie im Licht des Glaubens in einem anderen Licht sehen können. Weil die Liebe, die Gott uns schenkt heilen möchte. Lassen wir uns berühren … von GOTT, vergessen wir aber auch nicht auf die alltäglichen Berührungen. Übrigens hat Virginia Satir, die Mutter der Familientherapie, den Satz publiziert: "Wir brauchen vier Umarmungen am Tag zum Überleben, acht Umarmungen am Tag zum Leben und 12 Umarmungen am Tag zum innerlichen Wachsen." Ob das wirklich so stimmt, wer weiß, probieren könnten wir es aber. Uns selbst zu umarmen, uns zu sagen, dass wir liebenswert sind. Anzufangen, wieder mehr auszudrücken, wenn wir Menschen gerne haben, auch körperlich auszudrücken. Uns von Gott umarmen zu lassen, der uns liebend in Seiner Hand hält.
Bildausschnitt „Licht, das jeden Menschen erleuchtet (vgl. Joh 1,9). Sr. Beatrix Stiegler, 2009, © Beuroner Kunstverlag.