Die Gruft vor dem Hochaltar und ihre Geschichte
Vor dem barocken Hochaltar der Stiftskirche befindet sich in den Fußboden eingelassen eine große Steinplatte mit einer lateinischen Inschrift.
Der Text der Inschrift verrät, dass es sich um einen besonderen Ort handeln muss. Es heißt dort: Baiernherzog Tassilo habe das dem Welterlöser geweihte Grabmal (Kloster) für seinen Sohn Gunther gegründet, der hier vom Eber niedergestreckt worden sei. Das Grab Gunthers? Ja, so kann man sagen, zumindest im übertragenen Sinn. Denn unter der Platte befindet sich eine kleine Gruft, die mit der Platte im Jahr 1712 unter Abt Alexander Strasser errichtet worden war, um die Gunthergrabplatte von 1304 aufzunehmen. Zuvor hatte sich diese im Kirchenschiff befunden, wo sie dem Bau der neuen Mittelstiege im Weg war. Vor allem aber brachte man zwei Kisten mit Gebeinen in die Gruft ein, anonyme Gebeine, die man damals für jene Gunthers hielt, die sog. „Ossa fundatoris“ (Gebeine des Gründers), sowie die Reliquien des seligen Priestermönchs Wisinto von Kremsmünster aus dem 11. Jahrhundert.
Am 11. Dezember 1712 wurde die Gruft feierlich geschlossen. Seitdem ist die Platte im Laufe der vergangenen 312 Jahre nur viermal gehoben worden, was man jedesmal durch eine Beigabe für die Nachwelt dokumentiert hat. Die erste Öffnung geschah im April 1857, doch das damals hineingelegte Pergament ist inzwischen fast vollständig verdorben. Die zweite Hebung der Platte 1948 war da folgenreicher. Die Reliquien Wisintos und die Ossa fundatoris wurden nicht nur untersucht, sondern auch in neue Aluminiumschreine gebettet, die in den alten Kupfertruhen von 1677 in der Gruft beigesetzt wurden, zusammen mit einer kleinen beschriebenen Messingplatte. Darüber hinaus versetzte man die Guntherfigur ins Südliche Läuthaus der Kirche, wo sie heute – noch – steht, bis sie im kommenden Jahr in das Nördliche Läuthaus wandern wird. Erneut öffnete man die Gruft im Zuge der Kirchenrenovierung am 17. Juli 1972 mit Blick auf das 1200-Jahr-Jubiläum, eine in Metall gravierte kleine Inschrift in der Gruft erinnert an dieses Ereignis.
Im Zuge der aktuellen Stiftskirchenrenovierung wurde die Platte heuer zum vierten Mal abgehoben. Ein historisches Ereignis, das am 10. Oktober 2024 in Anwesenheit von Abt Ambros, dem Archäologen Heinz Gruber vom Bundesdenkmalamt, vielen Mitbrüdern und Interessierten stattgefunden hat; der Autor dieser Zeilen durfte dann als erster in die Öffnung hinuntersteigen. In dem kleinen Raum befanden sich die beiden Truhen mit den Gebeinen, sie wurden herausgehoben und geöffnet.
Neben den Gebeinen und der erwähnten Platten von 1972, 1948 und 1712 enthielten die Truhen weitere Metalltafeln aus der Zeit vor dem Bau der Gruft. So erinnert eine kleine Silberplatte mit einer Inschrift an die Hebung der Gebeine 1677 anlässlich der 900-Jahrfeier des Stiftes. Auch im Jahr 1509, als das Guthergrab aus der Mitte der Kirche Richtung Querhaus verlegt wurde, sind drei Bleiplatten angefertigt worden, eine größere und zwei kleinere mit Beschriftungen. Die älteste Platte in der Gruft ebenfalls aus Blei stammt aus dem Jahr 1304; damals hatte man gerade das sog. Stiftergrab mit der neuen Platte in der Kirche errichtet. Ihr Text nimmt Bezug auf die erste Erhebung der Ossa fundatoris zu Beginn des Kirchenbaus 1232 und stellt damit eine wichtige historische Quelle dar.
Bei der aktuellen Öffnung sind die beiden ältesten (großen) Platten entnommen worden, um sie restaurieren zu lassen - hatte ihnen der Bleifraß in den letzten Jahrhunderten doch arg zugesetzt und der Tixo aus den 1970er Jahren ausgedient. Am 15. Oktober hat Siegfried Achleitner schließlich die beiden Truhen wieder geschlossen und als letzter vor der Schließung eine kleine Metallplatte in die Gruft gebracht, die für die Zukunft an die Öffnung von 2024 erinnern soll. Ad multos annos!
P. Anselm Demattio
(Literaturhinweis: Kellner, Altman, „Zeugnisse des Stiftergrabes“, in Festschrift zum 400jährigen Bestehen des öffentlichen Obergymnasiums der Benediktiner zu Kremsmünster (Professorenfestschrift), Hrsg. vom Professorenkollegium, Wels 1949, 245–264; dort werden auch die Texte der Platten wiedergegeben)